Nicht abwarten – Tee trinken

Wie ein mit Heißgetränken vollgepackter Bus zur mobilen Nachbarschaftshilfe wird

24.08.2020 - von Sonja Strahl

„Papa! Schau, was ich gemalt habe!“ Immer wieder unterbricht der Nachwuchs das angeregte Gespräch der jungen Eltern, die an der Bierzelt-Garnitur Platz genommen haben, die auf der Wohnstraße Hünninghausenweg in Essen-Steele aufgebaut ist. Doch aus der Ruhe bringen lassen sich die Männer und Frauen vom um Aufmerksamkeit suchenden Hosenmatz nicht. „Toll!“, sagt ein Vater, nippt an seinem Tee, dem Filius reicht das Lob und er geht wieder zu der Bank, auf der Blöcke und Stifte ausgelegt sind. Die Erwachsenen lachen, plaudern und trinken weiter. Clara Gsella beobachtet und lächelt. Menschen mit Tee zusammenbringen, das war die Idee des Mobilitea-Busses. Bus? Gut, eigentlich ist es ein grüner Kastenwagen. Doch da steckt richtig was drin. Tees aus allen Herren Ländern, nachbarschaftlicher Zusammenhalt – und ein engagiertes Team. 

Bereits im Jahr 2017 kamen einige dieser Menschen an einem Runden Tisch in einer Flüchtlingseinrichtung im Essener Norden zusammen. Dabei stellten sie fest: Aus der Nachbarschaft war niemand gekommen. Offenbar war die Hemmschwelle zu groß gewesen, die Einrichtung zu besuchen. Doch seine eigene Wohnungstür öffnen, um die Bewohner der Flüchtlingseinrichtung kennenzulernen, wollte von den Anwohnern erst recht niemand. Wie also bringt man die Menschen zusammen? 

An diesem Tag wurde die Idee von Moblitea geboren – einem mobilen Tee-Café, das einen Ort der Begegnung zwischen privatem und öffentlichem Raum schafft. „Unsere Idee war, mit einem Bus durch die Nachbarschaften zu fahren. Der Tee sollte dabei als Türöffner dienen, um Schwellen abzubauen und Menschen ins Gespräch einzuladen“, erzählt Clara Gsella vom Mobilitea-Team. Doch es fehlte: das Geld.

Fahrrad mit Anhänger und Tee als Türöffner

Das erste Tee-Mobil: ein Fahrrad mit Anhänger Das erste Tee-Mobil: ein Fahrrad mit Anhänger

„Der Wagen war finanziell nicht möglich. Also haben wir mit Fahrrad und Anhänger angefangen“, so Clara Gsella. Hilfe gab es unter anderem von der evangelischen Kirchengemeinde in Katernberg: „Als wir dort unsere Idee vorgestellt haben, war der damalige Pfarrer Jens Kölsch-Ricken sofort begeistert und hat uns seine Unterstützung zugesagt.“ Unter der Trägerschaft der evangelischen Kirche kam das Projekt mit Mitteln aus dem Programm „Soziale Stadt“ ins Rollen. Zweimal pro Woche war das überwiegend ehrenamtlich arbeitende Mobilitea-Team im Essener Norden unterwegs, um Anwohner bei einem kostenlosen Tee zusammenzubringen – auch solche Menschen, die sonst wenig Kontakt haben und isoliert sind.

Netzwerk schafft Nachhaltigkeit

Als großer Vorteil erwies sich das gute Netzwerk zu Institutionen wie Jugendamt, AWO, Caritas und ISSAB (Institut für Stadtteilentwicklung, Sozialraum-orientierte Arbeit und Beratung). „Wenn die Menschen Vertrauen zu uns gefasst haben, sprechen sie uns auch auf Probleme und Fragen an, bei denen wir nicht selbst helfen können“, berichtet sie. „Dann können wir aber an bestehende Angebote vermitteln.“ So entstünden nachhaltige Kontakte, und die Menschen würden mehr und mehr in ihren Stadtteil integriert. „Oft sind es die Kinder, die neugierig sind und sich zuerst trauen, bei uns stehenzubleiben. Erwachsene brauchen manchmal etwas länger, um ihr Misstrauen gegen Geschenktes abzulegen.“

Vielfalt des Tees spiegelt das Ruhrgebiet wider

Manchmal bringen Menschen sogar ihren eigenen Tee mit zum Stand, um ihn vorzustellen. „Unser Tee ist so vielfältig wie die Menschen in unserem Verein, wie die Menschen im Ruhrgebiet – von Ostfriesentee über türkischen Tee bis hin zu marokkanischem Tee ist alles dabei“, sagt Clara Gsella und lässt den Blick über die Auswahl am Mobil schweifen. Serviert wird nicht in Pappbechern, sondern in Gläsern und Porzellangeschirr – schließlich soll der Tee zum Verweilen einladen. 

Gründung eines eigenen Vereins im VielRespektZentrum

Jeder Tee wird im passenden Gefäß serviert. Jeder Tee wird im passenden Gefäß serviert.

Nach zwei Jahren entschied sich das Team, einen Verein als Träger zu gründen. Der passende Ort für das Vereinsbüro musste nicht lang gesucht werden: Das im Januar 2019 eröffnete „VielRespektZentrum“ in der nördlichen Innenstadt bot neben guten Vernetzungsstrukturen auch Räume zum Arbeiten. Also wurde der gemeinnützige „Viertelimpuls e.V.” im März 2019 an der Rottstraße 24 ins Leben gerufen. „So eine Vereinsgründung ist schon ein hoher bürokratischer Aufwand“, stellt Clara Gsella rückblickend fest. „Aber für uns alle ist Mobilitea eine echte Herzensangelegenheit, deswegen haben wir nie unseren Traum aus den Augen verloren.“

Das Ziel lautete weiterhin: ein eigener Bus. Auch wenn das Fahrrad mit Anhänger schon als Markenzeichen bekannt geworden war – mit einem größeren, motorisierten Untersatz würden sich mehr Nachbarschaften schneller erreichen lassen, so die Überlegung des Teams. Und eine mobile Theke sowie zusätzliche Sitzgelegenheiten für die Gäste ließen sich damit auch transportieren. 

Crowdfunding macht Traum vom Wagen möglich

Den Durchbruch brachte schließlich die Nominierung zum Deutschen Integrationspreis 2019: Mobilitea startete mit Hilfe der Crowdfunding-Plattform „Start Next“ eine Kampagne, um Spendengelder zu sammeln. Mit viel Arbeit, Netzwerken, Durchhaltevermögen und unermüdlichen Aufrufen in Sozialen Medien kamen nach 30 Tagen fast 12.000 Euro zusammen, Mobilitea landete auf Platz 8 des Contests und dufte sich zusätzlich über ein Preisgeld in Höhe von 7.500 Euro freuen. „Wir haben trotzdem auch Essens Sozialdezernenten Peter Renzel angesprochen“, sagt Clara Gsella. „Wenn man etwas erreichen will, sollte man nicht schüchtern sein, sondern alle Menschen fragen, die sich in dem Thema auskennen und einem weiterhelfen können.“

Nachbarschaftsgespräche im Essener Norden und in Steele

Dank Crowdfunding ist der Traum vom Wagen wahr geworden. Dank Crowdfunding ist der Traum vom Wagen wahr geworden.

Ende Juli 2020 war es dann soweit: Der eigene Mobilitea-Wagen, umgebaut von der Jugendberufshilfe, rollte zum ersten Mal durch die Essener Straßen. Wenn der kleine, grüne Lieferwagen mit der großen Teekanne auf der Ladefläche in den Straßen der Wohnviertel hält und seine Ladeklappe öffnet, dann bauen die Helfer schnell die Bier-, pardon, die Teebänke und Tische auf. Ein langer Tisch bleibt unter der Klappe des Kastenwagens: Er wird zur Theke, von hier aus schenken die Helfer den Tee aus – und beginnen dabei die ersten Gespräche. Schnell entwickelt sich eine lockere Atmosphäre.

Neben den nördlichen Stadtteilen im Bezirk VI-Zollverein (Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg) ist das Mobil auch in Steele unterwegs. Statt großer Plätze sucht sich das Team lieber kleine Standorte in den Wohnsiedlungen aus, wie etwa am Hünninghausenweg. „Hier leben die Menschen, hier können sie sich authentisch auf Augenhöhe annähern“, erklärt Clara Gsella. Mit Tee könne man zwar keine Konflikte lösen, aber dafür sorgen, dass Leute überhaupt miteinander reden. „Die Menschen sind bereit für Dialog, doch man muss üben“, ist sie überzeugt. Veränderung fange im Kleinen an, wenn man offen dafür ist. 

Die nächsten Ideen hat das Team bereits im Visier: „Noch mehr Stadtteile anzufahren wäre großartig. Im Essener Norden sind die Menschen sehr offen für Dialog. Es wäre spannend zu sehen, wie Touren in den Essener Süden, zu denen Menschen aus dem Norden mitfahren, verlaufen.“ Am Steeler Hünninghausenweg jedenfalls freuen sich die großen und kleinen Besucher über den willkommenen Besuch vor der Haustür. „Kommt ihr jetzt jede Woche?“, fragt ein Besucher eine Helferin. „Ja, jeden Freitagnachmittag sind wir in Steele, wo genau wir die nächsten Male stehen, überlegen wir noch.“ „Na, da werde ich mal Ausschau halten“, lächelt der Mann. Mobilitea hilft nicht nur, die Nachbarn neu kennenzulernen, sondern mitunter die gesamte Nachbarschaft im Stadtteil.

Ein nettes Gespräch ist trotz Corona immer drin. Ein nettes Gespräch ist trotz Corona immer drin.

Mitmachen:

Eigene Ideen einbringen und mitmachen kann man schnell bei Mobiltea. Viele ehrenamtliche Helfer sind auf das Projekt aufmerksam geworden, als Mobilitea direkt in ihrer Nachbarschaft Halt gemacht hat. Sie sind mit den Helfern ins Gespräch gekommen, ließen sich von der Idee begeistern – und helfen nun selbst in anderen Stadtteilen. 

Mobilitea ist dienstags und donnerstags im Bezirk VI (Zollverein) und freitags von 15 bis 18 Uhr in Steele unterwegs. Die nächsten Termine sind bald auf der Facebook-Seite und auf der Homepage zu finden: www.mobilitea.de. Wer Ideen hat, wo Mobilitea als nächstes Halt machen soll oder wer sich einbringen möchte, schreibt am besten eine Mail an: info@mobilitea.de 

Kontakt:

www.mobilitea.de
info@mobilitea.de

www.viertelimpuls.de
info@viertelimpuls.de

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